„Corona“… klingt das nicht schön! Ich erwische mich dabei, wie ich den alten Schlager „Marina, Marina, Corona“ summe. Dieser Name - eine Mischung aus Corinna und Verona - wäre eigentlich ein hübscher Name für eine Katze! So wie Amarena! Schwarzes glänzendes Fell, sanfte Augen und scharfe Krallen. Meine „Amarena“, die tatsächlich „Kirsche“ heißt, kommt gerade mit hängendem Kopf durch die Terrassentür getrottet und strahlt ziemliche Langeweile aus. Den Namen hat sie in einem Wurf bekommen, in dem ihre Geschwister Apfel und Birne hießen. Da bleibe ich doch lieber bei "Kirsche", zumal dies in Kindertagen mein eigener Spitzname war und noch immer meine Lieblingsfrucht ist!
Wenn „Corona“ doch auch so harmlos und geschmackvoll wie eine Amarena-Kirsche wäre! Dieses Corona stellt unser Leben gerade ganz schön auf den Kopf! Einschränkungen in allen Lebenslagen – „zuhause bleiben“ heißt die Maxime. Meine Katze jedenfalls genießt es sehr, jetzt zu jeder Tages- (und Nacht-)zeit rein und raus zu dürfen, weil ihr Mensch zuhause ist und die Türen den ganzen Tag offen stehen. Sie genießt es so sehr, dass sie die Wahl hat: „Lege ich mich in den Garten? Ach nein, die Nachbarskinder sind mir zu laut, dann gehe ich lieber rein und hau mich aufs Gästebett im Spitzboden und kuschel mit den Monchichi!“ So in etwa stell ich mir ihre Gedanken vor.
In den Zeiten, in denen ich arbeiten war, konnte sie tagsüber nicht raus. Manchmal hat sie sich noch raus geschlichen, als ich loswollte und dann musste meine Nachbarin, die einen Schlüssel zu meinem Haus hat, sie wieder rein lassen, wenn Madame ein „herzzerreißendes“ (so der O-Ton meiner Nachbarin) Miauen anstimmte. So ähnlich wie ein bellender Hund, der im Garten getobt hat, und wieder rein gelassen werden will. Nur nicht ganz so laut, aber genauso penetrant. Wenn ich nach der Arbeit wieder nach Hause kam, kam sie mir verschlafen von oben entgegen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie sauer darüber war, den ganzen Tag drinnen zu bleiben – kann ja auch ganz nett sein. Vor allem wenn es regnet und stürmt oder einfach nur kalt ist. Da kuschelt man sich doch lieber auf seinen Lieblingsplatz, beobachtet zwischendurch mal die Vögel im Garten durch die sichere Terrassentür und legt sich wieder hin und träumt.
Seit ich Katzen habe, zuerst das Geschwisterpäarchen Tom und Jerry und jetzt Kirsche, sehe ich die Welt da draußen mit anderen Augen. Ich habe es geliebt, am Spätsommerabend mit Tom auf der Kante meiner Terrasse zu sitzen und in die Dunkelheit zu starren. Dabei waren seine Sinne voll geschärft, hat er schon lange vor mir etwas entdeckt und ruckartig den Blick in diese Richtung gelenkt, die Ohren hoch aufgestellt und den Kopf etwas vorgestreckt. Hier ein Geräusch vom Igel, der sich schnaubend unter der Holzterrasse über den Kies bewegt, und da eine Fledermaus, die immer wieder ihre Kreise über die Straße zieht und sich Motten von der Straßenlaterne oder Käfer aus dem Ahornbaum angelt. Das menschliche Auge nimmt die Dinge zwar anders wahr als die Katze, aber das Schärfen der Sinne in der Dunkelheit ist sehr spannend. Ein Naturerlebnis! Keine störenden Geräusche durch spielende Kinder, Rasenmäher oder Autos. Selbst die Vögel sind verstummt in der Nacht. Natürlich nur die tagaktiven Vögel. Die Nachtvögel, die man selbst auf dem Dorf nicht oft zu Gesicht bekommt, sind natürlich unterwegs, aber das menschliche Auge nimmt sie kaum wahr. Erst, wenn sie rufen oder direkt über einen hinweg fliegen, können sie einem einen gewaltigen Schrecken einjagen. Das Leben ist anders in der Nacht. Ruhiger, entschleunigter. Daher liebe ich die Nacht. Angefangen mit der blauen Stunde, wenn die Sonne untergegangen ist, kann ich stundenlang nur dasitzen und in die Dunkelheit starren. Am liebsten natürlich an einem lauen Sommerabend mit einem Glas Rotwein auf der Terrasse. Aber es geht auch von drinnen. Dieses auf sich selbst besinnen, die Gedanken kreisen lassen und „runterkommen“ von einem anstrengenden Tag ist zu einem nicht täglichen, aber regelmäßigem Ritual vor der Nachtruhe geworden. Wenn die Nachbarn schon schlafen gegangen sind, gehe ich noch mal an die Luft und nehme einen tiefen Zug dieser Brise, die jeden Abend anders zusammengesetzt ist. Manchmal lau und voller Gerüche von Grillrauch und geräuchertem Fleisch, was an einen lauen Sommerabend in Griechenland erinnert, und manchmal frisch mit einem Hauch von Meer, so wie es nur in Schleswig-Holstein riechen kann. Das Leben kann so schön sein, Corona!
Wir leben in einer schnellen Welt, das Arbeitsleben verändert sich rasant, den Umgang mit den digitalen Medien lernen Kindern viel schneller als wir Erwachsene. Mit zunehmendem Wohlstand sehen wir es als selbstverständlich an, mehrmals im Jahr zu verreisen, am liebsten mit dem Flugzeug, auch wenn es nur um einen Aufenthalt am Strand oder im All-Inclusive-Hotel geht. Dann kann man sagen, man war in Ägypten oder in der Türkei. „Hast Du die Pyramiden gesehen?“ „Nein, wir waren doch Schnorcheln im Roten Meer!“ Ach so. Früher eine blühende und reiche Großmacht, die mit Schätzen wie Gold und Lapislazuli Handel mit allen Ländern des Mittelmeeres getrieben hat, hat sich auch Ägypten nun vollständig vom Tourismus abhängig gemacht und Hotelburgen in die Landschaft gesetzt. Aber dann kam Corona.
Corona zwingt uns dazu, sämtliche Menschenansammlungen zu vermeiden. Wie soll das gehen, bei einer Weltbevölkerung von fast 8 Milliarden Menschen? Den Tourismus trifft es hart. Flugzeuge müssen am Boden bleiben, Hotels werden geschlossen und auch Restaurants und alle Shoppingläden bleiben zu. Auch die Kultur leidet. Theater und Museen bleiben geschlossen, Konzerte und Lesungen fallen aus. Für unsere Gesundheit. Der Mensch im Ausnahmezustand. Corona, was machst Du mit uns?
Ich mache meinen Abendspaziergang durch den Garten und gehe schlafen. Was für ein verrückter Tag! Die Nachrichten sind voll von Informationen. Neue Zahlen, neue Erkenntnisse, neue Infizierte, neue Tote, aber auch viele, die wieder genesen sind. Ich liege im Bett und meine Gedanken kreisen weiter nur um eins: Corona. Dabei geht es uns in Deutschland noch sehr gut. Die vielen Tagelöhner, die keine Arbeit mehr bekommen und kein Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld! Die überlasteten Krankenhäuser in anderen Ländern, in denen 800 Tote an einem Tag zu beklagen sind! Nein, das haben wir nicht und das wollen wir nicht erleben. Wir bleiben lieber zuhause.
Stille. Ruhe. Einsamkeit. Wir konzentrieren uns nur auf uns, die Familie, die Gesundheit. Das Wesentliche. Mancher muss überlegen, was das Wesentliche überhaupt ist, vermisst den Überfluss, die vielen Kontakte, das ständige Telefonklingeln. Es ist Ruhe eingekehrt. Damit muss man erst klar kommen. Die Einsamen fühlen sich noch einsamer. Die Hyperaktiven wissen nicht wohin mit ihrer Aktivität. Auch in Deutschland haben viele Menschen Sorgen. Angehörige in Quarantäne, Kurzarbeit, Einsamkeit, Ansteckungsgefahr. Ja, das Leben hat sich verändert durch Corona. Veränderung, vor der viele Menschen Angst haben. Durchatmen. In Zeiten von Corona wichtiger denn je.
Meine Katze stört das alles gar nicht. Kaum hab ich die Gedanken an den Tag verdrängt und den Schlaf begrüßt, macht sie sich vom Treppenabsatz aus bemerkbar. Miau? Nein, eher ein „Hm?“ bei dem die Stimme am Ende der langgezogene Silbe nach oben geht wie bei einer Frage. „Hm?“ ertönt es wieder, diesmal lauter. Mist, fast wäre ich eingeschlafen. „Ach Mausi, willst Du nicht auch ein bisschen schlafen?“ „Hm?“ Das war wohl ein Nein. „Jaha – ich komm ja schon!“ Bevor ich noch mehr Stunden Schlaf einbüße, gebe ich lieber nach. Ich steige aus dem Bett und sehe sie bereits auf der Treppe sitzen. Diesmal ein leiseres, aber vehementes: „Hm?“ Sobald sie mich gesehen hat, dreht sie sich um und marschiert nach unten, mich immer im Blick. Wenn ich mitkomme, gibt es auch schon mal ein „Köpfchen“ an meinem Bein zum Dankeschön. Aber das war es auch schon. Selbst Schuld, wenn ich keine Katzenklappe einbauen will. Kirsche, die nicht Corona, aber vielleicht bald gehässig „Amarena“ heißt, geht zielstrebig zur Haustür. Na wenigstens klappt die Kommunikation zwischen uns! Ich überlasse sie mit einem kleinen Stupser auf das Hinterteil, ohne den sie womöglich noch länger zögernd in der Tür sitzen würde, in die Nacht. „Viel Spaß!“ Dann trotte ich mit hängendem Kopf wieder ins Bett. Zwei Stunden später erwache ich und höre ein echtes durchdringendes „Miau“, welches von draußen kommt. Es wird begleitet von Getrampel auf der Holzterrasse und einem lauten Fauchen. Oh wei! Ich springe aus dem Bett und guck aus dem Fenster. Nichts zu sehen. Dann laufe ich nach unten und mache die Terrassentür auf. „Kirschie?“ Ich weiß nicht, woher sie auf einmal kommt, aber sie steht schon mit buschigem Schwanz vor mir, schlüpft durch den Türspalt und positioniert sich hinter mir. „Was war hier denn los?“ frage ich und starre in die Dunkelheit. Aber Kirsche ist schon wieder völlig entspannt und ich sehe noch wie eine rotweiße Katze - oder war es sogar ein Kater? – schnell durch den Garten abhaut. „Na, dem hast Du`s ja gegeben!“ Kirsche geht erhobenen Hauptes zu ihrem Fressnapf und genehmigt sich erstmal einen Snack und ich wackel schlaftrunken, aber erleichtert, wieder ins Bett. Keine zehn Minuten später höre ich wieder ein vertrautes Geräusch: „Hm?“ „Och, nö, Kirschie, du warst doch gerade draußen!“ Ich stehe also wieder auf und öffne wieder die Haustür. Meine Katze scannt genau wie ich die Umgebung. Nichts zu sehen, aber Kirsche bewegt sich nicht vom Fleck. Da ich keine Geduld mehr habe und wieder ins Bett möchte, fasse ich einen Entschluß: diese Nacht oder besser, den Rest dieser Nacht, lasse ich die Haustür einfach einen Spalt offen, so dass Kirsche immer rein und raus kann wie sie will – und ich kann bis zum Morgen durchschlafen.
Das klappt tatsächlich. Zu meiner gewohnten Aufstehzeit erwache ich gerädert, während die Katze neben mir sanft schlummert. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie gekommen ist. Auf dem Teppich im Flur liegen neben einem kleinen Blutfleck die Reste einer Maus, vermutlich die Galle. Ich muss wirklich fest geschlafen haben, wenn ich nicht mitbekommen habe, dass sie ihre Beute mit nach oben geschleppt hat! Normalerweise ist das Beutepräsentieren ein total wichtiges Ritual. Vorher wird sie nicht gefressen. Ich muss wirklich tief geschlafen haben! Zum Glück hat sie die Maus nicht noch mit ins Bett gebracht! Nächste Nacht bleibt die Tür wieder zu! Trotzdem bin ich froh, dass sie hauptsächlich nachts auf Beutezug geht. Tagsüber muss ich immer ein Auge auf sie werfen, damit sie den Vögeln nicht zu nahe kommt! Daher bin ich froh über jede Stunde, die sie tagsüber schlummert. Wie bei einem Kleinkind! Oder wie bei den Müttern und Vätern, die derzeit ihre Kinder zuhause betreuen.
Machen wir das Beste draus. Lasst es uns machen wie unsere Haustiere: raus in die Natur und frische Luft tanken. Den Wind um die Nase wehen lassen und den Kopf frei kriegen! Leider geht auch das nicht mehr im Rudel. Aber warum nicht auch mal alleine? Die Angst vor Einsamkeit ist unberechtigt. Es gibt so vieles zu entdecken. Man muss sich nicht immer unterhalten. Augen und Ohren auf, durchatmen und die Sinne schärfen. So wie ich einst mit meinem Kater nachts auf der Terrasse gesessen habe, so können wir auch bei einem Spaziergang tagsüber vieles entdecken. Insekten summen und brummen um uns herum, die Vögel suchen Nistmaterial, turteln und bauen sich ein Nest. So manche Eidechse sucht sich einen warmen Stein zum Sonnen und (Oster-) Hasen haben Hochkonjunktur! Stehenbleiben. Hinsetzen. Lauschen. Die Natur genießen. Durchatmen. Corona.
Wir müssen uns Luft verschaffen. Sorgen sind nicht gewinnbringend. Alles hat seine Zeit. Wenn Du uns verlässt, Corona, dann werden wir feiern, uns wieder treffen und lachen, während wir uns von den Erlebnissen während der Krise erzählen. Wir werden überleben! Die Welt danach wird eine andere sein. Die Einsamen werden Hilfe erfahren und neue Menschen kennengelernt haben, andere Menschen sind näher zusammen gerückt oder haben erkannt, dass sie in Zukunft getrennte Wege gehen sollten. Wir werden schnell wieder zurückkehren zur Hektik und Schnelligkeit unseres Lebens. Aber bestimmt hat der eine oder andere auch gelernt, mal inne zu halten und durchzuatmen. Und den Stecker zu ziehen in brenzlichen Situationen. Raus in die Natur, abschalten, durchatmen. Danke Kater Tom, dass Du mir die Augen geöffnet hast für die verborgenen Dinge. Danke Kirsche für Deine Gelassenheit und Freude während der einsamen Zeit. Danke Corona. Du hast uns geholfen, die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu erkennen und Wert zu schätzen. Aber es ist auch schön, wenn Du wieder gehst.