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Die Rückkehr der Menschlichkeit?

Kerstin Schlichting • 14. Juni 2020

Eine persönliche Analyse der heutigen Arbeitswelt


Irgendwas läuft schief gerade. Die Welt dreht sich immer schneller. „Schneller, höher, weiter“ ist seit dem Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit, also seit 75 Jahren, die Maxime der Wirtschaft. Seit es das Internet gibt, schreitet die Digitalisierung voran, für manchen unheimlich, für andere eine Offenbarung. Dadurch ist auch das Arbeitsleben noch schneller geworden, die Arbeitsverdichtung höher. Ich bemängle schon seit Jahren, dass dabei die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt und hab auch versucht, es zu kommunizieren, aber bei den betreffenden Stellen/Personen kommt das nicht an – im doppelten Sinne. Deshalb habe ich jetzt nach 20 Jahren meinen Job gekündigt. Je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, woran es liegt. Die Kollegen, mit denen ich darüber rede, wissen sofort, was ich meine, aber die Leitungen nicht. Sie verstehen es nicht, weil sie anders ticken. Dies ist ein Versuch der Analyse. 
Man soll ja nicht schlecht über seinen Arbeitgeber reden, aber ich weiß, dass auch andere Arbeitgeber so ticken, also betrifft diese Analyse nicht nur meinen Arbeitgeber, sondern auch viele andere.

Einweisung statt Einarbeitung
Unsere Leitungen sind auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet. Sie gucken sich Zahlen an: Auswertungen, Statistiken und Kosten. Dabei wird auf Mitarbeiter, das Personal, ebenfalls nur aus Zahlensicht geschaut – Personalkosten sind immer hoch – in allen Branchen. Das verleitet Leitungen dazu, diese Kosten zu reduzieren. Mit fatalen Folgen. 
Mein Noch-Arbeitgeber, eine kirchliche Institution im öffentlichen Dienst, stellt schon seit Jahren kaum noch dem Beruf entsprechend qualifizierte Kräfte mehr an, d.h. in unserem Fall der Verwaltung Verwaltungsfachangestellte oder Verwaltungsfachwirte. Fachkräftemangel? Glaub ich nicht in dem Bereich Grundsätzlich ist es kein Problem, Quereinsteiger zu beschäftigen, die weder die Institution kennen noch das fachliche Wissen haben, wenn diese vernünftig eingearbeitet würden. Das ist leider nicht der Fall. Eine vernünftige Einarbeitung würde bedeuten, dass ein Mitarbeiter/in dafür abgestellt wird, mit dem/der Neuen zusammen über einen gewissen Zeitraum alles gemeinsam zu erledigen, damit der/die Neue die Vorgänge und Abläufe kennenlernt und dabei sicher wird. Oder eine Zeitlang Mitlaufen wie bei einem Praktikum. Das würde Sinn machen, wenn der/die alte Mitarbeiter/in noch da ist und damit auch eine vernünftige eins-zu-eins-Übergabe macht. Tatsächlich läuft es aber so, dass die freigewordene Stelle mindestens ein Vierteljahr freigehalten wird (dazu gibt es einen Beschluss), um dann von dem/der Kollegen/Kollegin, der/die schon drei Monate die Vertretung gemacht hat und dabei schon völlig überlastet ist, eine – nennen wir es mal – „Einweisung“ bekommt: eine Erklärung, wie es zu laufen hat, und dann selbst Versuchen soll mit dem Hinweis: „Du kannst mich jederzeit ansprechen, wenn du etwas nicht weißt.“ Klingt zunächst auch gut. Der/die Neue wird „ins kalte Wasser geschmissen“ und muss schwimmen lernen. Als Kollegin, die das beobachtet, habe ich immer den Eindruck, dass das auch funktioniert und ab und zu auch Fragen kommen. Nur beim näheren Hinsehen zwecks Vertretung fällt auf, dass einige Abläufe komplett fehlen – weil sie nicht verinnerlicht wurden und die Routine fehlt. Außerdem kann der/die Neue den Arbeitsplatz noch nicht komplett ausfüllen, die anfallende Arbeit ist schlichtweg zu viel für ihn/sie, weil er/sie noch langsamer ist, mehr nachfragen und überlegen muss. Als Kollegin, die anleitet, habe ich das Gefühl, dass dies auf mich zurück fällt und mache mir Vorwürfe, dass ich es nicht besser erklärt habe. Aber der geschilderte Umstand lässt keine Zeit für ausgiebige „Einarbeitung“ und mir geht es nicht alleine so – „Einweisung“ ist die neue „Einarbeitung“ – anders ist es heutzutage nicht mehr möglich. Alles andere wäre Luxus.

Die Fluktuation wird auch bei uns höher, also bleiben immer mehr Stellen zeitweise unbesetzt. Das führt dazu, dass sich die Arbeit noch mehr verdichtet, weniger Personen mehr Arbeit erledigen. Der Arbeitgeber findet es klasse, weil es ja anscheinend trotzdem „läuft“, aber aus Sicht des Teams läuft es gar nicht. Das meiste wird oberflächlich abgehandelt, vieles einfach „vergessen“, unter den Tisch fallen gelassen. So lange es keiner merkt, ist es auch egal, aber die Beschwerden häufen sich. Die Leitungen hinterfragen dann aber leider nicht ihr aufgebautes System, sondern leiten die Beschwerde direkt an den betreffenden Mitarbeiter weiter, der dann dafür abgemahnt wird. Auch diese Vorgänge häufen sich. Auch Mitarbeiter, die noch nicht richtig eingearbeitet sind, werden abgemahnt, dabei können sie gar nichts dafür. Was glauben die Leitungen eigentlich, woran es liegt? Und was bezweckt eine Abmahnung, wenn sie nicht den Zweck der Kündigung erfüllt? Glauben Leitungen, sie können die Mitarbeiter zwecks arbeitsrechtlicher Maßnahmen „erziehen“, obwohl das System krank ist?

Funktionieren wie eine Maschine
Betrachtet man eine Einrichtung nur anhand von Zahlen, dann gerät schnell der Mensch als Individuum in den Hintergrund. Ich fühle mich seit Jahren an meinem Arbeitsplatz nicht mehr wohl, fühle mich nicht gesehen und nicht wert geschätzt. Und damit repräsentiere ich die Mehrheit meiner Kollegen, wie eine Erhebung der Berufsgenossenschaft in unserer Verwaltung gezeigt hat. Der zusätzliche Druck der Arbeitsverdichtung, neuen Abläufen, zusätzlichen Statistiken, die geführt werden sollen, macht auf mich den Eindruck, als wäre ich eine Maschine. Es wird unmenschliches von uns Arbeitnehmern verlangt. Wir müssen nur abarbeiten und dabei noch in immer kürzeren Intervallen. Ein Roboter wird trainiert auf Effektivität. Die Erhebung der Berufsgenossenschaft ist der Leitung präsentiert worden, geändert hat dies nichts.
Unsere Leitungen haben noch nicht verstanden, dass wir keine Roboter sind. Schaut man sich die Mitarbeiter individuell an, dann sieht man, dass jeder andere Fähigkeiten hat. Der eine kann gut mit der EDV umgehen und klickt schnell durch die Programme, ein anderer hat eine Affinität zu Zahlen und sieht auf den ersten Blick, was an einer Berechnung falsch ist, während andere rechnen und grübeln und nicht auf den Grund des Fehlers kommen. Wieder andere können gut formulieren, wenn es darum geht, einen komplexen Vorgang zu erklären. Viele meiner neuen Kolleginnen haben mir gesagt, hätten sie gewußt, dass man in unserem Bereich so viel mit Zahlen zu tun hat, hätten sie dort nicht angefangen.  So ist der Mensch eben. Man kann nicht erwarten, dass jeder ein Mathegenie ist. Leider erfüllen  - aus meiner Sicht – auch die Leitungen nicht unbedingt alle ihre Aufgaben, die von einer Leitung zu erwarten wären. Das wäre dann zum Beispiel, dass die besonderen Eigenschaften der Mitarbeiter gesehen und genutzt würden und schon bei Einstellung geguckt wird, ob der Mitarbeiter in dem Bereich richtig ist. Wie viele Leute habe ich schon kommen und gehen sehen! Ehemalige Auszubildende, die sich auf den neuen Arbeitsplätzen nicht wohl gefühlt haben und „verbrannt“ wurden. Viele haben vor meinen Augen geweint. Es ist so traurig, das mit anzusehen. Menschen wie Du und ich – mit Stärken und Schwächen –die auf ihre Schwächen reduziert werden…

Obwohl mich schon sehr lange einiges gestört hat, hat es sich in der letzten Zeit für mich so zugespitzt, dass ich es nicht mehr hinnehmen kann. Zuletzt wurden auch sogenannte Softskill-Seminare gestrichen, die meines Erachtens für die Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeiter sehr wichtig sind. In meinem Fall war es ein Seminar zum Stressabbau. Da ich seit einiger Zeit mit Bluthochdruck zu tun habe und mich sehr gestresst fühlte, war dieses Seminar wichtig für mich und sollte auch im Sinne der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für diesen wichtig sein. Aber trotz mehrfacher Nachfrage und Einschalten der Mitarbeitervertretung ist mir dies Seminar verweigert worden mit dem Hinweis, sparen zu müssen und dass man auch bei mir keine Ausnahme machen könnte. Der Arbeitgeber will neue Grundsätze aufstellen, welche Seminar genehmigt werden und welche nicht. Ich glaube, das war es, was mir letztendlich die Augen geöffnet und mir klar gemacht hat, dass der Mensch als Individuum einfach nicht gesehen wird.

Die Corona-Pandemie zeigt uns gerade auf, wie wichtig Solidarität, Zusammenhalt und Nähe sind und Pflegeberufe werden als „systemrelevant“ bezeichnet. Der Mensch rückt wieder mehr in den Vordergrund, vermeintlich. Ja, auf einmal wird erkannt, dass Berufe, die direkt mit Menschen zu tun haben, unterbezahlt sind. Von den „helfenden“ Berufen wie Polizist, Feuerwehrmann, Krankenschwester oder Arzt träumen kleinen Kinder, weil sie zu diesen Berufen aufschauen, den „Helden“ in dem Beruf sehen. Fragt man aber Schulabgänger nach ihrer Berufswahl, dann kommt häufig „Banker“ oder „Immobilienfachwirt“ dabei raus. Berufe, in denen man viel Geld verdienen kann. Unser Fokus liegt immer noch auf dem Geld, damit es uns gut geht und wir uns einen hohen Lebensstandard führen können. Eigennutz statt Solidarität, Geld statt Menschlichkeit.
Ich sehe die Menschlichkeit nicht nur in meinem Arbeitsumfeld schwinden. Auch im Alltag begegnet man vielen Menschen mit „Ellenbogen“. Das fängt schon in Schulen und Kitas an und kennt wohl jeder: Eltern, die sich über Erzieher, Betreuer und Lehrer beschweren oder über andere Kinder, weil ihr Kind vermeintlich benachteiligt worden ist. Dabei muss eine vermeintliche Benachteiligung gar nicht der echte Grund sein – es reicht vielleicht schon, wenn man nachhakt und sich beschwert, damit das Kind eine bessere Note bekommt. In meinem Elternhaus gab es das noch nicht, aber schon vereinzeln unter den Mitschülern. Ich hab es eher als ungerecht empfunden, wenn andere Eltern eine bessere Note bei meinem Mitschüler „rausgeschlagen“ haben und ich mich mit meiner schlechten Note abgefunden habe. Aber meine Eltern sahen gar nicht die Veranlassung, die Bewertung des Lehrers zu hinterfragen und ich auch nicht. So bin ich dann auch erzogen worden.

Die Arbeitswelt ist nicht demokratisch
Dabei habe ich ein starkes Unrechtsbewußtsein. Unrecht ärgert mich sehr. Im Arbeitsalltag kommt es aber nicht gut an, wenn man Kritik übt, solange man nicht in der Mitarbeitervertretung oder in einer Leitungsposition ist. Ich habe immer versucht, mich als Mitarbeiterin für andere Mitarbeiter (fürs Team, also auch für mich selbst) einzusetzen und bin ganz oft gegen Wände gelaufen. Man kann eben nur was ändern, wenn man in einer gleichwertigen oder überlegenen Position ist. Die Erfahrung habe ich gemacht und das stimmt mich traurig. Roboter haben halt keine eigene Stimme. 
Dabei bin ich während meiner Schulzeit auf dem Gymnasium zu Kritik erzogen worden. Wir haben diskutiert über Für und Wider und sollten so unsere eigene Meinung ausbilden. Mir hat damals keiner gesagt, dass ich im Berufsleben alles hinnehmen soll und bereits durch mein Geschlecht Nachteile erfahren werde. Als Schülerin war das für mich unvorstellbar. Ich war genauso viel wert wie meine männlichen Mitschüler und hatte die gleichen Qualifizierungschancen. Dass das Arbeitsleben in der Hinsicht etwas anders tickt und Frauen sich umso mehr ins Zeug legen müssen, um eine gewisse Position zu erreichen, habe ich erst im Laufe der Zeit erfahren müssen. Leider ist das immer noch so, auch wenn im Grundgesetz die Gleichheit der Geschlechter verankert ist. Ich denke auch nach wie vor, dass wir nur eine weibliche Kanzlerin haben, weil Angela Merkel viel Männlichkeit verkörpert. Frauen, die sich weiblich kleiden und verhalten, sind auch in den Augen vieler Männer mehr Lustobjekt als gleichwertiger Mitbürger. Die „Me-too“-Debatte hat das nochmal ganz deutlich gezeigt, obwohl wir doch so stolz auf unsere schwer errungene Gleichstellung waren.

Ändert sich das System oder ändern wir uns
Ich frage mich, ob die Corona-Pandemie daran etwas ändern wird. Es hat sich viel Solidarität unter den Menschen gezeigt, Nachbarn helfen Nachbarn und viel Geld wird gespendet für die, die es gerade besonders schwer haben. Trotzdem gibt es auch noch das andere Lager, die Pandemie-Leugner, Verschwörungstheoretiker oder die Hamsterkäufer, die sich selbst immer noch am nächsten sind. Die Gesellschaft wird wohl auch nach der Pandemie beide Lager beherbergen. Wir werden es nicht schaffen, alle auf eine Seite zu schlagen und das ist wohl auch ein Teil der Menschlichkeit. Jeder hat seine Gründe für sein Verhalten und es ist am besten für uns alle, es so zu akzeptieren, dass jeder Mensch anders ist und wir nicht die Welt retten können.
Trotzdem können wir die Welt ein bisschen besser machen. Indem wir andere Wege aufzeigen und als Vorbild agieren. Für meinen Job habe ich es jetzt aufgegeben und möchte nicht mehr mit ansehen, wie der Karren weiter im Dreck versinkt. Ich ertrage auch das unkollegiale Verhalten von egoistischen Kollegen und Leitungen nicht mehr. Ich als hoch qualifizierte Kraft (duales Studium als Dipl. Verwaltungswirtin und 23 Jahre Berufserfahrung) werde nicht mehr gebraucht und bin ersetzbar. Meinem Arbeitgeber ist es egal, ob ich gehe und ist wahrscheinlich sogar froh, weil er Kosten und Nerven spart. Der Hamster verlässt sein Laufrad. Ich hoffe, mein Blutdruck normalisiert sich wieder, da ich mich nicht mehr jeden Tag aufreiben muss. Die von mir betreuten Mitarbeiter werden schon traurig sein, mich zu verlieren – und auch einige liebe Kollegen. Das weiß ich, weil ich von denen viele gute Rückmeldungen bekommen habe. Meine Freude an dem Job in der Personalarbeit war immer der persönliche Kontakt, ein persönliches Wort am Telefon oder der letzte Satz im Brief: „Bleiben Sie gesund!“ oder „Ich wünsche Ihnen eine schönes Osterfest!“. Unsere Schreiben werden zukünftig noch mehr standardisiert, viele Briefe werden komplett entfallen und Weihnachtsgrüße werden zu Floskeln auf der Dezember-Gehaltsabrechnung. 

Ich aber werde weiter die persönliche Ansprache und menschliche Kontakte suchen. Dazu gehört auch ehrenamtliche Tätigkeit, gegenseitige Hilfe und das Miteinander. Ich habe hierzu viele positive Rückmeldungen bekommen und fühle mich daher unterstützt auf diesem Weg. In diesem Sinne wünsche ich auch Dir viele Menschen um Dich herum, die Dich respektieren, lieben und unterstützen.

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von Kerstin Schlichting 8. Dezember 2020
Ich habe mir das „Jenke-Experiment“ zum Thema Schönheits-Operationen eines privaten Fernsehsenders und den Live-Talk dazu erst im Nachhinein angeschaut. Dadurch hatte ich nicht die Gelegenheit, mich am Chat zu beteiligen. Beim Anschauen des Live-Talks hatte ich aber das Gefühl, die Meinungen gehen in die falsche Richtung und ich hatte das Bedürfnis, mich dazu zu äußern. Zum Glück hat sich das im Laufe der Sendung etwas relativiert. Als Kind bin ich wegen meiner großen Nase gehänselt worden. Ich bin froh, dass es damals die Form der heutigen Sozialen Medien noch nicht gab. Vielleicht wäre es sonst heftiger gewesen. Ich konnte mich damals noch von Angesicht zu Angesicht wehren. Zum Beispiel habe ich einmal behauptet, dass Mike Krüger mein Onkel ist und den Jungen, der mich gehänselt hat gefragt, ob er ein Autogramm haben möchte. Die kleine Gruppe hat sich dann schnell zurück gezogen und mich nie wieder angesprochen. Trotzdem hatte ich manchmal das Gefühl, man tuschelt über mich und macht sich lustig. Das ist kein schönes Gefühl und hat mit Sicherheit mein Selbstwertgefühl geprägt. Anderen, die gemobbt wurden, habe ich beigestanden und verteidigt. Auf dem Nach-Hause-Weg habe ich aus der Grundschule eine Klassenkameradin, die gemobbt wurde, mit nach Hause genommen und somit aus der Gruppe gezogen. Das hat mir sicherlich etwas Respekt verschafft, so dass ich in Ruhe gelassen wurde. Der Anlass des Mobbings war meiner Meinung nach nur die Anstachelung eines Mädchens, die als cool galt. Das gemobbte Mädchen war kurz vorher noch ihre beste Freundin und anscheinend hat sie sie in dem Moment „abgeschossen“. Selbst ich war mal zwei Wochen lang ihre beste Freundin. Es gibt lustige Bilder aus dieser Zeit und ich erinnere mich gerne daran wie wir zu Abbas „Voulez Vous“ gesungen und choreografiert haben. Man konnte schon Spaß mit ihr haben – keine Frage. Aber sie hat die Freundinnen schnell gewechselt. 20 Jahre später habe ich sie mal zufällig getroffen und mich erschrocken, wie „verlebt“ sie aussah. Zigaretten, Sonne und ein ausschweifender Lebensstil –wie Jenke von Wilmsdorff sich selbst in seinem Experiment beschreibt – führen offensichtlich zu optischer Alterung und der Frage, ob man Schönheits-Operationen vornehmen sollte, um zumindest das optische Alter dem echten Alter anzugleichen. Das ist noch eins der wenigen Argumente, die ich zulassen würde, um einer OP zuzustimmen, ein anderes ist die kosmetische Chirurgie nach Unfällen oder Mißbildungen. Es ist toll, dass heute so etwas möglich ist! Aber ein gesunder Lebensstil wäre natürlich besser, um nicht nur optisch, sondern auch körperlich jung zu bleiben. Ich habe das Glück, jünger geschätzt zu werden als ich wirklich bin. Daher scheidet dieser Grund für eine Schönheits-OP bei mir aus. Schon in meiner Jugend gab es Prominente, die sich operieren ließen. Es hieß, Katja Epstein hat ihre jetzige Stupsnase operieren lassen. Bilder vor der OP wurden nie veröffentlicht. Es gab Künstler, die kein gesangliches Talent hatten (man kann auch sagen, sie hatten nie eine Chance), aber rein optisch bzw. durch ihre Tanzeinlagen bestachen. Als Beispiele seien nur Milli Vanilli und der Sänger von Boney M. genannt. Der größte Schachzug von Manager und Producer Frank Farian, auf den er heute noch stolz ist, war, allen dreien eine andere Stimme zu leihen und sie Playback agieren zu lassen. Die beeindruckende Illusion für den Zuhörer und Zuschauer war tatsächlich die Mischung aus Tanz und Gesang. Nachdem der Schwindel aufgeflogen ist, war die Magie flöten. Die Musik ist allerdings bis heute unvergessen. Ich muss zugeben, ohne diesen Trick wären die beiden Gruppen nie so erfolgreich geworden! Kylie Minogue (sorry an alle Fans), die durch ihr süßes Äußere und ihre extrovertierte Art von ihren Eltern und den Medien gepusht wurde, wurde stimmlich durch die Tontechnik der Studioaufnahmen – die Stimme wurde gedoppelt, d.h. bis zu 10fach übereinander gelegt – etwas „aufgehübscht“. Auch Madonna war am Anfang ihrer Karriere keine gute Sängerin. Beide haben es geschafft, durch Training und Erfahrung besser zu werden – sie haben diese Chance bekommen. Trotzdem ist immer noch das Gesamtkunstwerk, vor allem die aufwendige Show mit erotischen Tanzeinlagen, und nicht die Stimme Grund ihres Erfolges. Im Schulchor meiner Schule haben immer nur die Mädchen die Solorollen bekommen, die sowieso schon durch extrovertiertes Verhalten hervorstachen, während ich aufgrund meiner Größe immer in der letzten Reihe stand und sicher (und angepasst) meine Stimme sang. Wahrscheinlich war mein Lehrer der Meinung, dass nur diese Schülerinnen "Star"- Potential haben und dadurch noch besonders gefördert werden müssten. Ich hätte mich aber darüber gefreut, dass Schüler gefördert werden, denen man es nicht auf den ersten Blick ansieht, deren Potential verborgen ist. Dazu müssten Lehrer aber genauer hinschauen. Da ich ein großer Musikfan bin, habe ich mir diese Frage schon früh gestellt: Würde ich mich operieren lassen, damit ich als Sängerin erfolgreich sein kann? Blöderweise bin ich da total stur: das würde ich nie machen! Was ist das für eine Gesellschaft, die nur hübsche Menschen zuläßt?! Der Umkehrschluß für mich war sofort klar: ich würde nie erfolgreich sein als Sängerin, weil ich (nach der Norm) nicht hübsch genug bin! Diese Erkenntnis hat mich bis heute geprägt. Trotz meiner Leidenschaft zur Musik habe ich nie den Ehrgeiz gehabt, hauptberuflich Musik zu machen; abgesehen davon hätte ich nicht genug Disziplin gehabt. Diese Mischung von „du bist nicht hübsch genug“ und „du bist nicht gut genug“, hat mich also ziemlich früh den Traum einer Musikerkarriere aufgeben lassen. Vermeintliche Schönheit kann auch Fake sein kann. In den Printmedien wird manipulierende Bildbearbeitung schon seit Jahrzehnten angewandt. Zunächst wurden nur Zähne geweißt und Glanzlichter in die Augen gesetzt. Bei den heutigen Modelfotos werden selbst Arme und Beine verlängert, Augenfarben verändert und Schönheitsmakel wegretuschiert. Durch kostenlose Bildbearbeitungsprogramme ist dies jetzt auch in den sozialen Medien üblich. In meinen Augen wird jeder Mensch durch eine Schönheits-OP selbst zum „Fake“. Oberflächlichkeit. Das ist ein Thema, was mich in dem Zusammenhang immer beschäftigt hat. Ich habe Menschen getroffen, die durch mich hindurch oder an mir vorbei geguckt haben, während sie sich mit meiner besten Freundin unterhalten haben – als wenn ich nicht dazu gehörte! Hallo! Das war so offensichtlich oberflächlich! Das fand ich so furchtbar! Nicht, weil ich von diesem Typen, ein Arbeitskollege meiner Freundin, wahrgenommen werden wollte, was man ja denken könnte. Nein, dieses Verhalten hat ihn bei mir sofort unattraktiv gemacht! Da konnte der sich noch so modisch kleiden, „eindieseln“ oder frisieren! Dieses Verhalten fand ich so abstoßend, so dass ich einen Blick entwickelt habe für Menschen, die oberflächlich sind. Das ist der größte Gewinn für mich, den ich meiner schönen großen Nase zu verdanken habe! Ich kann schnell erkennen, ob es jemand ehrlich meint oder ob er nur oberflächliches Zeug labert. Entschuldigung – das hört sich vielleicht auch oberflächlich an. Natürlich soll man Menschen nicht auf den ersten Blick beurteilen oder verurteilen. Das, was nicht für mich gelten soll, soll auch nicht für andere gelten. Ich bin immer für eine zweite Chance zu haben, aber meine Erfahrung hat vieles bestätigt. Der erste Blick entscheidet über Sympathie oder Antipathie. Das war schon immer so und hilft uns, die richtigen Menschen um uns zu haben. Wir müssen nicht mit allen Menschen auskommen und befreundet sein! Und wen wundert es, dass ich den damaligen Kollegen meiner besten Freundin unsympathisch fand, wenn der mich nicht wahrgenommen hat! Meine Freundin hat diese Diskriminierung übrigens nicht mal bemerkt. Leider funktioniert Optik immer noch in allen Bereichen der Gesellschaft. Bei einer attraktiven Frau hört und sieht man auch gerne mal über einen kleinen Fehler hinweg; das ist der sogenannte Halo-Effekt, der alles überstrahlt. Was die große Nase angeht, ist es wohl immer noch so, dass man in den visuellen Medien nur Karriere machen kann, wenn man männlich und/oder komisch ist. Und diese Männer werden auch noch explizit mit ihrer Nase identifiziert! Frauen mit einer großen Nase im Fernsehen sind somit ein „noGo“! Als einzige Ausnahme fällt mir tatsächlich nur Barbara Streisand ein, die eine unglaubliche Karriere mit einer einzigartigen Stimme gemacht hat. Dabei ist die Debatte über Diskriminierung und Rassismus wieder neu entflammt in Deutschland. Obwohl ich mich heute optisch wohl fühle, spüre ich auch immer noch Formen von Diskriminierung, z.B. weil ich eine Frau bin. Vielleicht bin ich auch zu freundlich und bescheiden in meinem Auftreten, was dazu führt, dass mir nichts zugetraut wird. Optik (Aussehen und Klamotten) und Auftreten sind also immer noch wichtig. Zum Glück gibt es jetzt musikalische Formate wie „The Voice“, wo man nur durch seine Stimme ins Team kommt. Also der erste Eindruck nur auf die Stimme reduziert wird. Und Arbeitgeber verzichten bei Bewerbungsschreiben auf Fotos. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Der zweite Eindruck muss dann aber überzeugen. Trotzdem gibt es einen neuen Hype, eine neue Generation, die sich optisch an Supermodels und Fake-Fotos orientiert. Wenn man die Mitte seines Lebens überschritten hat, wundert man sich nur, dass junge Frauen sich selbst nur über die Optik definieren und damit alle Errungenschaften der Frauenbewegung mit Füßen treten. Das finde ich echt problematisch. Aber sie wollen natürlich nicht als „Dummchen, die nur hübsch ist“ wahrgenommen werden, sondern als hübsche, selbstbewußte und kluge Frau. So sehen sie sich selbst. Das Problem ist nur, dass es meistens nicht so ankommt. Die klugen Frauen in unserer Gesellschaft tragen meist Hosenanzug und kein tief ausgeschnittenes Dekolleté. Letztendlich muss jeder selbst entscheiden, wie er aussehen will und ob er „was machen lassen“ will. Aber ich denke, es verändert das Bild unserer Gesellschaft noch einmal zusätzlich, wenn mehr Menschen als früher äußerlich vermeintlich „hübscher“ sind. Nicht zu vergessen, dass die Schere zwischen Arm und Reich auch darüber entscheidet, ob man sich so etwas überhaupt leisten kann. Und damit verändert sich auch der Blick auf die, die es sich nicht leisten können. Der Blick wird noch abfälliger als er eh schon ist durch den bloßen Gedanken: „wie sieht der/die denn aus?“ Guckt Euch die USA an. Mir ist aufgefallen, dass alle Politikerinnen und Politiker aufwendige Föhnfrisuren haben! Die müssen ja vor jedem öffentlichen Auftritt neu geföhnt werden! Eine schreckliche Vorstellung, aber offensichtlich in den USA völlig normal. Aus den visuellen Medien kennt man das ja auch bei uns. Vor jedem Fernsehauftritt geht’s erstmal in die „Maske“. Das ist durchaus legitim, da helles und warmes Studiolicht und die hohe Auflösung der Bilder doch gnadenlos sein können. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Gesundheitsminister Jens Spahn seine Locken jedes Mal trimmen lässt, bevor er vor die Kamera tritt – so sieht es jedenfalls nicht aus. Ich weiß nicht, wo ich heute stehen würde, wenn ich meine Nase operiert hätte oder wenn ich trotz aller Widerstände eine Musikerkarriere angestrebt hätte. Eine zweite Streisand? Fakt ist jedenfalls, dass ich mich immer noch im Spiegel anschauen kann und meine Persönlichkeit sich immer mehr in meinem Äußeren manifestiert. Es gab Zeiten als Teenager, da konnte ich mein Spiegelbild nicht ertragen. Typisch für die Pubertät, daher mache ich mir deswegen keine Sorgen. Ich hatte soviel „Starappeal“ in mir gefühlt und bin von meinem Spiegelbild sozusagen ernüchtert worden. Das hat mich vielleicht ausgebremst und ich war deswegen so zurückhaltend. Andererseits hat mal ein Onkel, der mich nur einmal im Jahr gesehen hat, zu mir gesagt: „Du wirst von Jahr zu Jahr hübscher!“ und genauso habe ich es auch empfunden je älter ich wurde. Ich habe mich nicht nur mit meinem Spiegelbild arrangiert, sondern mein Inneres nach Außen gekehrt. Ich strahle mehr, erkenne mich selbst wieder und lächle mich im Spiegel an. Und ich spreche hier von „Spiegel“, weil ich nicht zu den Menschen gehöre, die den ganzen Tag Selfies von sich machen. Vielleicht erhöht dies auch den Druck, wenn man sich ständig selbst anschaut. Da ich mich nur ein paarmal am Tag im Spiegel betrachte, bin ich manchmal über mein Spiegelbild so positiv überrascht, dass ich es schon schade finde, wenn mich außer mir selbst zu der Zeit niemand sehen kann. Im Laufe der Jahre hat sich auch sicher etwas „zurechtgewachsen“. Ich weiß nicht, ob es wirklich anatomisch so ist, aber ich empfinde meine Nase und meine Ohren nicht mehr als „zu“ groß – sie passen zu meinem großen Kopf! Meine Ex-Freunde waren übrigens völlig überrascht, wenn ich meine Nase als zu groß bezeichnet habe und deswegen Komplexe hatte. Sie haben es gar nicht so empfunden und fanden mich trotzdem hübsch. Das war eine wichtige Erfahrung. Vielleicht war es auch hilfreich, dass mein erster Freund ein großer Steffi Graf-Fan war und ich eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr hatte! Ich schreibe das hier, weil ich allen Menschen Mut machen möchte, zu ihrem Äußeren zu stehen und sich nicht von falschen Schönheitsidealen irritieren zu lassen. Über Geschmack läßt sich bekanntlich streiten, über die wahre Schönheit und das Können eines Menschen sagt das aber gar nichts aus. Meines Erachtens sehen viele junge Mädchen „gleich“ aus und sind in einer Menschenmenge gar nicht als Individuum zu erkennen. Ich glaube nicht, dass das gewollt ist, in der Masse zu verschwinden. Ich finde es jedenfalls langweilig, wenn alle gleich aussehen und freue mich über jedes außergewöhnliche Gesicht. Der extrovertierten Mitschülerin, die eine Solorolle im Schulchor bekam, ist übrigens glatt während der Aufführung die Stimme weggeblieben. Es hat ihr anscheinend keiner die richtige Technik erklärt und sie hat ihren Solopart so lange selbstverliebt „geschrien“ bis sie keine Stimme mehr hatte. Hochmut kommt eben vor dem Fall! Das gilt übrigens auch für den Lehrer, der dieses angebliche „Talent“ gefördert hat. Aber das ist eine andere Geschichte…
von Kerstin Schlichting 7. Juni 2020
In der ersten Stunde unserer Ausbildung habe ich den Spitzwegerich aus verschiedenen verschlossenen Briefumschlägen als Begleitpflanze für meine Zeit bei Alchemilla ausgewählt. Ich kannte den Spitzwegerich nur als unscheinbar und störendes „Unkraut“ am Wegesrand. Das sollte nun meine Begleitpflanze sein? Bislang hatte ich nicht viel Notiz von ihm genommen. So auch im Verlaufe der weiteren Ausbildung - bis zu einem schönen Sommertag im Juni, an dem wir eine Exkursion an den Bordesholmer Stintgraben unternommen haben. Die naturbelassene Wiese war voll mit Spitzwegerich, schöne, groß entwickelte und dominanten Pflanzen, zum Teil fünf oder sechs Pflanzen an einer Stelle versammelt. Hier konnte ich ihn nicht übersehen. Seine schmallanzettigen Blätter, die ihm den lateinischen Beinamen lanceolata gegeben haben, stehen in einer Grundrosette. Ich habe erstmals wahrgenommen wie hübsch doch die Blüten sind. Sie bilden um sich herum kleine Kränzchen von Staubgefäßen, die lang aus den Blüten heraushängen. Sie blühen von unten nach oben ab und bringen somit bis in die Spitze immer wieder neue kleine Staubgefäße hervor. Ich konnte mich dem Charme der Pflanze nicht länger entziehen. Doch hatte ich die Botschaft immer noch nicht verstanden. Ich schaute mich weiter auf der wunderschönen Wiese um und suchte die Holunderbüsche auf, um Holunderblüten zu ernten. Autsch! Beim Schneiden einer Dolde habe ich meine Fingerkuppe erwischt. So ein Mist! Natürlich hatte ich kein Pflaster dabei. Das sollte zukünftig unbedingt zu den Sammelutensilien meiner Tasche gehören, dachte ich. Ich ließ das Blut tropfen und dachte, es wird schon nicht so schlimm sein. Da sagte Kora zu mir, ich könne den Spitzwegerich in der Hand verreiben und den so gewonnenen Saft auf die Wunde träufeln. Ich war verblüfft, hatte ich den Spitzwegerich doch nur als „Hustenpflanze“ in Erinnerung. Ich fing an, Blätter zu sammeln und sie mir um den Finger zu wickeln. Die Blutung hörte bald auf, aber mein Finger war ganz grün vom Pflanzensaft. Ob das wirklich so gut ist, dachte ich, wenn der Saft in die Wunde eindringt? Zuhause fing ich an, nachzulesen: Schon die Assyrer benutzten den Spitzwegerich im Altertum als erste Hilfe bei Schwellungen, las ich da. Als altes Hausmittel wurden die frisch geriebenen Blätter äußerlich auch bei Juckreiz, Insektenstichen und als Notpflaster eingesetzt. Er galt bereits in der klassischen Antike wie auch in der Klostermedizin als wertvolle Medizinpflanze. Hildegard von Bingen empfahl das Kraut bei Gicht, geschwollenen Drüsen, Knochenbrüchen und als Gegenmittel bei Liebeszauber. Ich war beruhigt und erfreut zugleich. An dem Finger kündete nur noch ein Fetzen überflüssiger Haut von dem kleinen Schnitt. Jetzt kam ich an meiner Begleitpflanze nicht mehr vorbei und wollte alles über sie wissen. Warum habe ich sie mir ausgesucht – oder hat sie doch mich ausgesucht? Ich fing an zu forschen, was es mit den anderen Wirkungsweisen des Spitzwegerichs auf sich hat, warum er bei Husten wirkt und was er noch so kann. Seine Kombination aus Schleimen, Gerbstoffen, Kieselsäure, Mineralien, Flavonoiden, Vitamin C und dem Aucubin ist in idealer Weise geeignet bei Erkältungskrankheiten. Bei Husten sowie auch Mund- und Rachenentzündungen legt sich der Schleim auf die Schleimhäute und wirkt somit reizlindernd. In diesem feuchten Milieu fangen die Gerbstoffe Krankheitskeime ab. Ihr antibiotischer Effekt besteht darin, dass sie schwerlösliche Verbindungen mit dem Eiweiß der Bakterienwände eingehen und sie abtransportieren. Das Aucubin wirkt dabei entzündungshemmend auf die betroffenen Stellen. Im Gegensatz zu anderen Pflanzensäften soll der Spitzwegerichsaft somit auch so gut wie gar nicht schimmeln. Mineralien, Vitamin C und Kieselsäure stärken den Organismus. Aufgrund des Schleims, der Bitterstoffe und Kieselsäure hilft er auch bei fiebrigen Lungen- oder Bronchialerkrankungen. Seine Wirkungsweise ist so stark, dass er auch bei Keuchhusten und Asthma hilft. Ein Hustensaft ist schnell und einfach aus Pflanzensaft und Honig oder Zucker hergestellt. Rezepte gibt es viele. Ich habe meins aus anderen Rezepten kombiniert und abgewandelt: 50gr. frische(ca. 30 Blätter)oder 2 gehäufte Esslöffel getrocknete Spitzwegerichblätter 1 Zweig Thymian 250 gr. (flüssiger) Honig 250 ml Wasser Die Spitzwegerichblätter klein schneiden und mit dem Wasser kurz aufkochen lassen. Thymian hinzugeben und eine Stunde ziehen lassen, danach abseihen. Den Honig zur Flüssigkeit hinzufügen und noch warm zusammen rühren bis sich der Honig aufgelöst hat. Aber warum hat der Spitzwegerich mich gefunden? Schauen wir dabei auf seinen Standort. Manche sagen es sei kein Zufall, dass eine bestimmte Pflanze den Garten besiedelt. Sie sehen darin eine Heilpflanze, die den Bedürftigen aufsucht. Dies ist nicht abwegig, denn es gibt Pflanzen, die dem Menschen “auf Schritt und Tritt” folgen, wie z.B. den Spitzwegerich, die Wegwarte oder die Wegrauke. Bereits die Namen weisen auf den Standort hin. Aus dem mittelalterlichen Deutsch wird der „Wegerich“ auch als „Wegkönig“ übersetzt. Das Wort „Begleitpflanze“ erhält dadurch für mich gleich eine doppelte Bedeutung. Diese sogenannten „Zaunkräuter“ werden auch mit dem Fachbegriff „Ruderalflora“ bezeichnet. Dem Städter laufen praktisch die Pflanzen hinterher. Durch den Schleim, der bei Nässe entsteht, bleiben die Samen an Schuhsohlen, Autoreifen und anderen Transportmitteln kleben und folgen somit auch dem Menschen, um sich wieder neu anzusiedeln und sei es in Mauerritzen und Zwischenräumen von Betonplatten. Sie folgen damit dem Kollektiv. Also kann man hier auch Heilkräfte gegen kollektive Erkrankungen, z.B. Erkältungswellen mit Kontakt- oder Tröpfcheninfektion vermuten. Wo viele Menschen sind, sind auch viele Mikroben unterwegs. Daher verwundert es nicht, dass viele der urbanen Unkräuter beachtliche antibiotische Kräfte besitzen. Der Wirkstoff Aucubin vermag dabei selbst antibiotikaresistente Krankenhauskeime im Wachstum zu hemmen. Experten vergleichen die Wirkung von Aucubin mit Penicillin. Ruderalpflanzen sind nicht nur gegen Trittschäden, sondern auch gegen Umweltgifte wie Autoabgase, Reifenabrieb, metallverseuchte Böden und sauren Regenresistent. Genau in dieser Anpassung ist auch ihre Signatur verborgen. Sie zeigen durch ihre Resistenz gegenüber Problemstoffen, dass sie Widerstandkräfte in sich aufgebaut haben, die möglicherweise auch dem Menschen nützlich sein könnten. “Und du, Wegerich, Mutter der Kräuter, östlich offen, innen mächtig. Über dir quietschen Kampfwagen, über dir reiten Königinnen, über dir riefen Bräute, über dir knirschten Stiere mit den Zähnen. All dem widerstandst du und widerstehst du: so widerstehst du auch Gift und Ansteckung, unter dem Feind, der durchs Land fährt. (altenglischer Neunkräutersegen) Jene Pflanzen, die die menschliche Nähe suchen, waren auch die ersten Heilpflanzen der frühen Siedler. Weil sie als Heil- und Nahrungsmittel dienten, sah man in ihnen die Verkörperung wohlwollender Hausgeister. In der Paracelsusmedizin sind sie potentielle Heilpflanzen gegen so genannte Zivilisationskrankheiten wie Allergien, Hauterkrankungen, Atemwegsreizungen oder Schwermetallbelastungen. “Keiner unter Euch, der keine Kenntnisse der Astronomie besitzt, kann es in der Arznei zu etwas bringen” (Paracelsus I/36) Paracelsus ordnete jeder Ursache von Krankheit einen astrologischen Hintergrund zu. Spitzwegerich ist dem Merkur und dem Organ Lunge zugeordnet, ebenso wie die Hormone, die Enzyme, die Neurotransmitter und die Haut-Schleimhaut-Grenze. Der Merkur ist außerdem verknüpft mit Bewegungsstörungen, Motalitätsstörungen des Darms, Sprachstörungen, Allergien, eitrigen Entzündungen sowie endokrinen Störungen. Im Übermaß manifestieren sie sich als Geschäftigkeit oder Stottern, im Mangel als Teilnahmslosigkeit, Asthma oder Steifheit. Die Aufgabe der Atmungsorgane ist vor allem der Gasaustausch, also die Aufnahme von Sauerstoff und Abgabe von Kohlendioxid. Den Atmungsprozess findet man aber auch intrazellulär, im Zitronensäurezyklus und in der Atmungskette, deren Aufgabe vor allem in der Energiebildung besteht. Die genauen Zusammenhänge kennt man noch nicht lange, aber dass die Atmung etwas mit Lebensenergie zu tun hat, weiß man seit Jahrtausenden. Viele Lungenmittel, die dem Merkur und der Sonne unterstehen, zählen zu den besten Energielieferanten. Dies ist aber nur eine Seite der Lungenfunktion, denn die Atmung versorgt uns auch mit Himmelsenergie. Schon immer gehören Atemtechniken zu den geheimen Künsten, um spirituelle Kräfte zu vermehren. Merkur ist schließlich auch die Schutzgottheit der Weisheitssuchenden! Mit jedem Einatmen nehmen wir etwas lebensspendende Himmelsenergie auf und mit jedem Ausatmen geben wir ein Stück unserer Seele dem Kosmos zurück. Über die Atmung können aber auch astrale Wesen in uns eindringen, so wird Asthma auch zu den okkulten Leiden gezählt. Als Lungenmittel zählen somit auch sogenannte “Verschreikräuter”, die Dämonen bannen oder vor Verhexungen schützen sollen. Neben dem Spitzwegerich sind solche schutzmagischen Kräuter mit Lungenwirkung Alant, Betonie, Königskerze, Ysop und Quendel. Das ist auch für mich interessant, da ich schon lange Probleme mit trockenen Schleimhäuten und Nebenhöhlenentzündungen, aber auch mit Energiemangel, Antriebslosigkeit und Schlappheit habe. So macht mir das, was ich über den Spitzwegerich erfahren habe, Mut. Mehr Energie kann ich gebrauchen und meine Schleimhäute werden es danken. Es steht fest, dass mich meine Begleitpflanze, die sich mir spät, aber sanft aufgedrängt hat, noch weiterhin begleiten wird. Natürlich sehe ich mittlerweile überall meinen Spitzwegerich: auf dem Parkplatz, den ich täglich benutze, am Wegesrand auf dem Nachhauseweg oder direkt an der Straße vor meiner Haustür. Es wird mir nicht schwer fallen, ihn immer wieder zu finden und ich habe viele interessante Rezepte und Anregungen gefunden. Vielen Dank, lieber Spitzwegerich, für diese tollen Möglichkeiten, die du mir eröffnest.
von Kerstin Schlichting 20. April 2020
„Corona“… klingt das nicht schön! Ich erwische mich dabei, wie ich den alten Schlager „Marina, Marina, Corona“ summe. Dieser Name - eine Mischung aus Corinna und Verona - wäre eigentlich ein hübscher Name für eine Katze! So wie Amarena! Schwarzes glänzendes Fell, sanfte Augen und scharfe Krallen. Meine „Amarena“, die tatsächlich „Kirsche“ heißt, kommt gerade mit hängendem Kopf durch die Terrassentür getrottet und strahlt ziemliche Langeweile aus. Den Namen hat sie in einem Wurf bekommen, in dem ihre Geschwister Apfel und Birne hießen. Da bleibe ich doch lieber bei "Kirsche", zumal dies in Kindertagen mein eigener Spitzname war und noch immer meine Lieblingsfrucht ist! Wenn „Corona“ doch auch so harmlos und geschmackvoll wie eine Amarena-Kirsche wäre! Dieses Corona stellt unser Leben gerade ganz schön auf den Kopf! Einschränkungen in allen Lebenslagen – „zuhause bleiben“ heißt die Maxime. Meine Katze jedenfalls genießt es sehr, jetzt zu jeder Tages- (und Nacht-)zeit rein und raus zu dürfen, weil ihr Mensch zuhause ist und die Türen den ganzen Tag offen stehen. Sie genießt es so sehr, dass sie die Wahl hat: „Lege ich mich in den Garten? Ach nein, die Nachbarskinder sind mir zu laut, dann gehe ich lieber rein und hau mich aufs Gästebett im Spitzboden und kuschel mit den Monchichi!“ So in etwa stell ich mir ihre Gedanken vor. In den Zeiten, in denen ich arbeiten war, konnte sie tagsüber nicht raus. Manchmal hat sie sich noch raus geschlichen, als ich loswollte und dann musste meine Nachbarin, die einen Schlüssel zu meinem Haus hat, sie wieder rein lassen, wenn Madame ein „herzzerreißendes“ (so der O-Ton meiner Nachbarin) Miauen anstimmte. So ähnlich wie ein bellender Hund, der im Garten getobt hat, und wieder rein gelassen werden will. Nur nicht ganz so laut, aber genauso penetrant. Wenn ich nach der Arbeit wieder nach Hause kam, kam sie mir verschlafen von oben entgegen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie sauer darüber war, den ganzen Tag drinnen zu bleiben – kann ja auch ganz nett sein. Vor allem wenn es regnet und stürmt oder einfach nur kalt ist. Da kuschelt man sich doch lieber auf seinen Lieblingsplatz, beobachtet zwischendurch mal die Vögel im Garten durch die sichere Terrassentür und legt sich wieder hin und träumt. Seit ich Katzen habe, zuerst das Geschwisterpäarchen Tom und Jerry und jetzt Kirsche, sehe ich die Welt da draußen mit anderen Augen. Ich habe es geliebt, am Spätsommerabend mit Tom auf der Kante meiner Terrasse zu sitzen und in die Dunkelheit zu starren. Dabei waren seine Sinne voll geschärft, hat er schon lange vor mir etwas entdeckt und ruckartig den Blick in diese Richtung gelenkt, die Ohren hoch aufgestellt und den Kopf etwas vorgestreckt. Hier ein Geräusch vom Igel, der sich schnaubend unter der Holzterrasse über den Kies bewegt, und da eine Fledermaus, die immer wieder ihre Kreise über die Straße zieht und sich Motten von der Straßenlaterne oder Käfer aus dem Ahornbaum angelt. Das menschliche Auge nimmt die Dinge zwar anders wahr als die Katze, aber das Schärfen der Sinne in der Dunkelheit ist sehr spannend. Ein Naturerlebnis! Keine störenden Geräusche durch spielende Kinder, Rasenmäher oder Autos. Selbst die Vögel sind verstummt in der Nacht. Natürlich nur die tagaktiven Vögel. Die Nachtvögel, die man selbst auf dem Dorf nicht oft zu Gesicht bekommt, sind natürlich unterwegs, aber das menschliche Auge nimmt sie kaum wahr. Erst, wenn sie rufen oder direkt über einen hinweg fliegen, können sie einem einen gewaltigen Schrecken einjagen. Das Leben ist anders in der Nacht. Ruhiger, entschleunigter. Daher liebe ich die Nacht. Angefangen mit der blauen Stunde, wenn die Sonne untergegangen ist, kann ich stundenlang nur dasitzen und in die Dunkelheit starren. Am liebsten natürlich an einem lauen Sommerabend mit einem Glas Rotwein auf der Terrasse. Aber es geht auch von drinnen. Dieses auf sich selbst besinnen, die Gedanken kreisen lassen und „runterkommen“ von einem anstrengenden Tag ist zu einem nicht täglichen, aber regelmäßigem Ritual vor der Nachtruhe geworden. Wenn die Nachbarn schon schlafen gegangen sind, gehe ich noch mal an die Luft und nehme einen tiefen Zug dieser Brise, die jeden Abend anders zusammengesetzt ist. Manchmal lau und voller Gerüche von Grillrauch und geräuchertem Fleisch, was an einen lauen Sommerabend in Griechenland erinnert, und manchmal frisch mit einem Hauch von Meer, so wie es nur in Schleswig-Holstein riechen kann. Das Leben kann so schön sein, Corona! Wir leben in einer schnellen Welt, das Arbeitsleben verändert sich rasant, den Umgang mit den digitalen Medien lernen Kindern viel schneller als wir Erwachsene. Mit zunehmendem Wohlstand sehen wir es als selbstverständlich an, mehrmals im Jahr zu verreisen, am liebsten mit dem Flugzeug, auch wenn es nur um einen Aufenthalt am Strand oder im All-Inclusive-Hotel geht. Dann kann man sagen, man war in Ägypten oder in der Türkei. „Hast Du die Pyramiden gesehen?“ „Nein, wir waren doch Schnorcheln im Roten Meer!“ Ach so. Früher eine blühende und reiche Großmacht, die mit Schätzen wie Gold und Lapislazuli Handel mit allen Ländern des Mittelmeeres getrieben hat, hat sich auch Ägypten nun vollständig vom Tourismus abhängig gemacht und Hotelburgen in die Landschaft gesetzt. Aber dann kam Corona. Corona zwingt uns dazu, sämtliche Menschenansammlungen zu vermeiden. Wie soll das gehen, bei einer Weltbevölkerung von fast 8 Milliarden Menschen? Den Tourismus trifft es hart. Flugzeuge müssen am Boden bleiben, Hotels werden geschlossen und auch Restaurants und alle Shoppingläden bleiben zu. Auch die Kultur leidet. Theater und Museen bleiben geschlossen, Konzerte und Lesungen fallen aus. Für unsere Gesundheit. Der Mensch im Ausnahmezustand. Corona, was machst Du mit uns? Ich mache meinen Abendspaziergang durch den Garten und gehe schlafen. Was für ein verrückter Tag! Die Nachrichten sind voll von Informationen. Neue Zahlen, neue Erkenntnisse, neue Infizierte, neue Tote, aber auch viele, die wieder genesen sind. Ich liege im Bett und meine Gedanken kreisen weiter nur um eins: Corona. Dabei geht es uns in Deutschland noch sehr gut. Die vielen Tagelöhner, die keine Arbeit mehr bekommen und kein Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld! Die überlasteten Krankenhäuser in anderen Ländern, in denen 800 Tote an einem Tag zu beklagen sind! Nein, das haben wir nicht und das wollen wir nicht erleben. Wir bleiben lieber zuhause. Stille. Ruhe. Einsamkeit. Wir konzentrieren uns nur auf uns, die Familie, die Gesundheit. Das Wesentliche. Mancher muss überlegen, was das Wesentliche überhaupt ist, vermisst den Überfluss, die vielen Kontakte, das ständige Telefonklingeln. Es ist Ruhe eingekehrt. Damit muss man erst klar kommen. Die Einsamen fühlen sich noch einsamer. Die Hyperaktiven wissen nicht wohin mit ihrer Aktivität. Auch in Deutschland haben viele Menschen Sorgen. Angehörige in Quarantäne, Kurzarbeit, Einsamkeit, Ansteckungsgefahr. Ja, das Leben hat sich verändert durch Corona. Veränderung, vor der viele Menschen Angst haben. Durchatmen. In Zeiten von Corona wichtiger denn je. Meine Katze stört das alles gar nicht. Kaum hab ich die Gedanken an den Tag verdrängt und den Schlaf begrüßt, macht sie sich vom Treppenabsatz aus bemerkbar. Miau? Nein, eher ein „Hm?“ bei dem die Stimme am Ende der langgezogene Silbe nach oben geht wie bei einer Frage. „Hm?“ ertönt es wieder, diesmal lauter. Mist, fast wäre ich eingeschlafen. „Ach Mausi, willst Du nicht auch ein bisschen schlafen?“ „Hm?“ Das war wohl ein Nein. „Jaha – ich komm ja schon!“ Bevor ich noch mehr Stunden Schlaf einbüße, gebe ich lieber nach. Ich steige aus dem Bett und sehe sie bereits auf der Treppe sitzen. Diesmal ein leiseres, aber vehementes: „Hm?“ Sobald sie mich gesehen hat, dreht sie sich um und marschiert nach unten, mich immer im Blick. Wenn ich mitkomme, gibt es auch schon mal ein „Köpfchen“ an meinem Bein zum Dankeschön. Aber das war es auch schon. Selbst Schuld, wenn ich keine Katzenklappe einbauen will. Kirsche, die nicht Corona, aber vielleicht bald gehässig „Amarena“ heißt, geht zielstrebig zur Haustür. Na wenigstens klappt die Kommunikation zwischen uns! Ich überlasse sie mit einem kleinen Stupser auf das Hinterteil, ohne den sie womöglich noch länger zögernd in der Tür sitzen würde, in die Nacht. „Viel Spaß!“ Dann trotte ich mit hängendem Kopf wieder ins Bett. Zwei Stunden später erwache ich und höre ein echtes durchdringendes „Miau“, welches von draußen kommt. Es wird begleitet von Getrampel auf der Holzterrasse und einem lauten Fauchen. Oh wei! Ich springe aus dem Bett und guck aus dem Fenster. Nichts zu sehen. Dann laufe ich nach unten und mache die Terrassentür auf. „Kirschie?“ Ich weiß nicht, woher sie auf einmal kommt, aber sie steht schon mit buschigem Schwanz vor mir, schlüpft durch den Türspalt und positioniert sich hinter mir. „Was war hier denn los?“ frage ich und starre in die Dunkelheit. Aber Kirsche ist schon wieder völlig entspannt und ich sehe noch wie eine rotweiße Katze - oder war es sogar ein Kater? – schnell durch den Garten abhaut. „Na, dem hast Du`s ja gegeben!“ Kirsche geht erhobenen Hauptes zu ihrem Fressnapf und genehmigt sich erstmal einen Snack und ich wackel schlaftrunken, aber erleichtert, wieder ins Bett. Keine zehn Minuten später höre ich wieder ein vertrautes Geräusch: „Hm?“ „Och, nö, Kirschie, du warst doch gerade draußen!“ Ich stehe also wieder auf und öffne wieder die Haustür. Meine Katze scannt genau wie ich die Umgebung. Nichts zu sehen, aber Kirsche bewegt sich nicht vom Fleck. Da ich keine Geduld mehr habe und wieder ins Bett möchte, fasse ich einen Entschluß: diese Nacht oder besser, den Rest dieser Nacht, lasse ich die Haustür einfach einen Spalt offen, so dass Kirsche immer rein und raus kann wie sie will – und ich kann bis zum Morgen durchschlafen. Das klappt tatsächlich. Zu meiner gewohnten Aufstehzeit erwache ich gerädert, während die Katze neben mir sanft schlummert. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie gekommen ist. Auf dem Teppich im Flur liegen neben einem kleinen Blutfleck die Reste einer Maus, vermutlich die Galle. Ich muss wirklich fest geschlafen haben, wenn ich nicht mitbekommen habe, dass sie ihre Beute mit nach oben geschleppt hat! Normalerweise ist das Beutepräsentieren ein total wichtiges Ritual. Vorher wird sie nicht gefressen. Ich muss wirklich tief geschlafen haben! Zum Glück hat sie die Maus nicht noch mit ins Bett gebracht! Nächste Nacht bleibt die Tür wieder zu! Trotzdem bin ich froh, dass sie hauptsächlich nachts auf Beutezug geht. Tagsüber muss ich immer ein Auge auf sie werfen, damit sie den Vögeln nicht zu nahe kommt! Daher bin ich froh über jede Stunde, die sie tagsüber schlummert. Wie bei einem Kleinkind! Oder wie bei den Müttern und Vätern, die derzeit ihre Kinder zuhause betreuen. Machen wir das Beste draus. Lasst es uns machen wie unsere Haustiere: raus in die Natur und frische Luft tanken. Den Wind um die Nase wehen lassen und den Kopf frei kriegen! Leider geht auch das nicht mehr im Rudel. Aber warum nicht auch mal alleine? Die Angst vor Einsamkeit ist unberechtigt. Es gibt so vieles zu entdecken. Man muss sich nicht immer unterhalten. Augen und Ohren auf, durchatmen und die Sinne schärfen. So wie ich einst mit meinem Kater nachts auf der Terrasse gesessen habe, so können wir auch bei einem Spaziergang tagsüber vieles entdecken. Insekten summen und brummen um uns herum, die Vögel suchen Nistmaterial, turteln und bauen sich ein Nest. So manche Eidechse sucht sich einen warmen Stein zum Sonnen und (Oster-) Hasen haben Hochkonjunktur! Stehenbleiben. Hinsetzen. Lauschen. Die Natur genießen. Durchatmen. Corona. Wir müssen uns Luft verschaffen. Sorgen sind nicht gewinnbringend. Alles hat seine Zeit. Wenn Du uns verlässt, Corona, dann werden wir feiern, uns wieder treffen und lachen, während wir uns von den Erlebnissen während der Krise erzählen. Wir werden überleben! Die Welt danach wird eine andere sein. Die Einsamen werden Hilfe erfahren und neue Menschen kennengelernt haben, andere Menschen sind näher zusammen gerückt oder haben erkannt, dass sie in Zukunft getrennte Wege gehen sollten. Wir werden schnell wieder zurückkehren zur Hektik und Schnelligkeit unseres Lebens. Aber bestimmt hat der eine oder andere auch gelernt, mal inne zu halten und durchzuatmen. Und den Stecker zu ziehen in brenzlichen Situationen. Raus in die Natur, abschalten, durchatmen. Danke Kater Tom, dass Du mir die Augen geöffnet hast für die verborgenen Dinge. Danke Kirsche für Deine Gelassenheit und Freude während der einsamen Zeit. Danke Corona. Du hast uns geholfen, die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu erkennen und Wert zu schätzen. Aber es ist auch schön, wenn Du wieder gehst.
von Kerstin Schlichting 20. April 2020
Der NABU weist auf eine neue Infektion bei Vögeln hin, die nach bisherigen Erkenntnissen bislang hauptsächlich Blaumeisen befällt. Der Erreger ist jetzt identifiziert und für Menschen ungefährlich. Bitte meldet, wenn Ihr kranke Tiere seht und lasst sie nicht liegen, da sie eine Ansteckungsgefahr für andere Vögel bedeuten. Sicherheitshalber solltet Ihr Euch dabei schützen und den Vogel nicht direkt anfassen. Weitere Informationen und das Meldeformular erhaltet Ihr auf der Seite des NABU, wenn Ihr auf das Bild klickt.
von Kerstin Schlichting 19. April 2020
Wer das Buch "Tiere denken" von Richard David Precht gelesen hat, erhält eine neue Sicht auf Tiere und wird vielleicht sogar zum Vegetarier! Richard David Precht schafft es, trotz anfänglich langer Ausführungen, unser Verhältnis zu den Tieren im Laufe der Jahrhunderte aufzuzeigen und einem dabei gehörig den Appetit zu verderben. Einiges davon ist heute unvorstellbar. Bewußt wird einem dadurch auch, dass es mit Massentierhaltung und Tierversuchen so wie bisher nicht mehr weitergehen kann. Unser Verhältnis zu den Tieren verändert sich erneut. Wir wissen inzwischen, dass das Schwein nicht so dumm ist wie im Volksmund immer behauptet wird. Wenn uns das klar ist, fangen wir an, unsere ethischen Grundsätze zu überdenken: welche Tiere können wir bedenkenlos essen, welche Tiere sind so wertlos für uns (und uns trotzdem noch so ähnlich), um im Versuchslabor zu landen? Dabei wird in dem Buch auch erklärt, dass die Erfolgsquoten der Versuchsreihen aufgrund der Vergleichbarkeit mit dem Menschen durchaus unterschiedlich sind und einige Versuche noch sinnvoll erscheinen, andere völlig sinnlos. Neue alternative Lösungen werden außerdem aufgezeigt. Wer überhaupt keine Tierversuche mehr will, muss auch in seinen oder ihren Lieblingskosmetika darauf achten, dass diese frei von Tierversuchen sind, und sich überlegen, wie er/sie zur Forschungsarbeit für Krebs, Viren o.ä. steht, die versucht, unserer Gesundheit in der Zukunft zu helfen und derzeit nicht ganz ohne Tierversuche auskommt. Unterschiede gibt es zwischen Tierrecht und Tierschutz und somit auch zwischen Tierrechtlern und Tierschützern. Hierbei gibt es wie in allen politischen Bereichen radikale Ansichten und weniger radikale. Der Leser kommt nicht umhin, seinen eigenen Standpunkt zu überdenken. Sehr spannend und wie ich finde: sehr lehrreich! Trotzdem ist es immer noch "harte" Kost. Richard David Precht peppt den manchmal sehr schwierigen Lesestoff mit ironischen Kommentaren und seiner eigenen philosophischen Umgangssprache auf, was dem Philosophen einem Bestseller nach dem nächsten beschert. Ich finde dieses Buch gut recherchiert und es ist daher für mich auch eine Quelle des Wissens und ein Sachbuch, in dem man immer wieder mal was nachschlagen kann. Allerdings klappt das nicht, wenn man versucht, es wie einen Roman in einem weg zu lesen. Man braucht etwas Zeit, um auch die einzelnen Kapitel zu "verdauen".
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