Ich habe mir das „Jenke-Experiment“ zum Thema Schönheits-Operationen eines privaten Fernsehsenders und den Live-Talk dazu erst im Nachhinein angeschaut. Dadurch hatte ich nicht die Gelegenheit, mich am Chat zu beteiligen. Beim Anschauen des Live-Talks hatte ich aber das Gefühl, die Meinungen gehen in die falsche Richtung und ich hatte das Bedürfnis, mich dazu zu äußern. Zum Glück hat sich das im Laufe der Sendung etwas relativiert.
Als Kind bin ich wegen meiner großen Nase gehänselt worden. Ich bin froh, dass es damals die Form der heutigen Sozialen Medien noch nicht gab. Vielleicht wäre es sonst heftiger gewesen. Ich konnte mich damals noch von Angesicht zu Angesicht wehren. Zum Beispiel habe ich einmal behauptet, dass Mike Krüger mein Onkel ist und den Jungen, der mich gehänselt hat gefragt, ob er ein Autogramm haben möchte. Die kleine Gruppe hat sich dann schnell zurück gezogen und mich nie wieder angesprochen. Trotzdem hatte ich manchmal das Gefühl, man tuschelt über mich und macht sich lustig. Das ist kein schönes Gefühl und hat mit Sicherheit mein Selbstwertgefühl geprägt. Anderen, die gemobbt wurden, habe ich beigestanden und verteidigt. Auf dem Nach-Hause-Weg habe ich aus der Grundschule eine Klassenkameradin, die gemobbt wurde, mit nach Hause genommen und somit aus der Gruppe gezogen. Das hat mir sicherlich etwas Respekt verschafft, so dass ich in Ruhe gelassen wurde. Der Anlass des Mobbings war meiner Meinung nach nur die Anstachelung eines Mädchens, die als cool galt. Das gemobbte Mädchen war kurz vorher noch ihre beste Freundin und anscheinend hat sie sie in dem Moment „abgeschossen“. Selbst ich war mal zwei Wochen lang ihre beste Freundin. Es gibt lustige Bilder aus dieser Zeit und ich erinnere mich gerne daran wie wir zu Abbas „Voulez Vous“ gesungen und choreografiert haben. Man konnte schon Spaß mit ihr haben – keine Frage. Aber sie hat die Freundinnen schnell gewechselt. 20 Jahre später habe ich sie mal zufällig getroffen und mich erschrocken, wie „verlebt“ sie aussah.
Zigaretten, Sonne und ein ausschweifender Lebensstil –wie Jenke von Wilmsdorff sich selbst in seinem Experiment beschreibt – führen offensichtlich zu optischer Alterung und der Frage, ob man Schönheits-Operationen vornehmen sollte, um zumindest das optische Alter dem echten Alter anzugleichen. Das ist noch eins der wenigen Argumente, die ich zulassen würde, um einer OP zuzustimmen, ein anderes ist die kosmetische Chirurgie nach Unfällen oder Mißbildungen. Es ist toll, dass heute so etwas möglich ist! Aber ein gesunder Lebensstil wäre natürlich besser, um nicht nur optisch, sondern auch körperlich jung zu bleiben. Ich habe das Glück, jünger geschätzt zu werden als ich wirklich bin. Daher scheidet dieser Grund für eine Schönheits-OP bei mir aus.
Schon in meiner Jugend gab es Prominente, die sich operieren ließen. Es hieß, Katja Epstein hat ihre jetzige Stupsnase operieren lassen. Bilder vor der OP wurden nie veröffentlicht. Es gab Künstler, die kein gesangliches Talent hatten (man kann auch sagen, sie hatten nie eine Chance), aber rein optisch bzw. durch ihre Tanzeinlagen bestachen. Als Beispiele seien nur Milli Vanilli und der Sänger von Boney M. genannt. Der größte Schachzug von Manager und Producer Frank Farian, auf den er heute noch stolz ist, war, allen dreien eine andere Stimme zu leihen und sie Playback agieren zu lassen. Die beeindruckende Illusion für den Zuhörer und Zuschauer war tatsächlich die Mischung aus Tanz und Gesang. Nachdem der Schwindel aufgeflogen ist, war die Magie flöten. Die Musik ist allerdings bis heute unvergessen. Ich muss zugeben, ohne diesen Trick wären die beiden Gruppen nie so erfolgreich geworden! Kylie Minogue (sorry an alle Fans), die durch ihr süßes Äußere und ihre extrovertierte Art von ihren Eltern und den Medien gepusht wurde, wurde stimmlich durch die Tontechnik der Studioaufnahmen – die Stimme wurde gedoppelt, d.h. bis zu 10fach übereinander gelegt – etwas „aufgehübscht“. Auch Madonna war am Anfang ihrer Karriere keine gute Sängerin. Beide haben es geschafft, durch Training und Erfahrung besser zu werden – sie haben diese Chance bekommen. Trotzdem ist immer noch das Gesamtkunstwerk, vor allem die aufwendige Show mit erotischen Tanzeinlagen, und nicht die Stimme Grund ihres Erfolges.
Im Schulchor meiner Schule haben immer nur die Mädchen die Solorollen bekommen, die sowieso schon durch extrovertiertes Verhalten hervorstachen, während ich aufgrund meiner Größe immer in der letzten Reihe stand und sicher (und angepasst) meine Stimme sang. Wahrscheinlich war mein Lehrer der Meinung, dass nur diese Schülerinnen "Star"- Potential haben und dadurch noch besonders gefördert werden müssten. Ich hätte mich aber darüber gefreut, dass Schüler gefördert werden, denen man es nicht auf den ersten Blick ansieht, deren Potential verborgen ist. Dazu müssten Lehrer aber genauer hinschauen.
Da ich ein großer Musikfan bin, habe ich mir diese Frage schon früh gestellt: Würde ich mich operieren lassen, damit ich als Sängerin erfolgreich sein kann? Blöderweise bin ich da total stur: das würde ich nie machen! Was ist das für eine Gesellschaft, die nur hübsche Menschen zuläßt?! Der Umkehrschluß für mich war sofort klar: ich würde nie erfolgreich sein als Sängerin, weil ich (nach der Norm) nicht hübsch genug bin! Diese Erkenntnis hat mich bis heute geprägt. Trotz meiner Leidenschaft zur Musik habe ich nie den Ehrgeiz gehabt, hauptberuflich Musik zu machen; abgesehen davon hätte ich nicht genug Disziplin gehabt. Diese Mischung von „du bist nicht hübsch genug“ und „du bist nicht gut genug“, hat mich also ziemlich früh den Traum einer Musikerkarriere aufgeben lassen.
Vermeintliche Schönheit kann auch Fake sein kann. In den Printmedien wird manipulierende Bildbearbeitung schon seit Jahrzehnten angewandt. Zunächst wurden nur Zähne geweißt und Glanzlichter in die Augen gesetzt. Bei den heutigen Modelfotos werden selbst Arme und Beine verlängert, Augenfarben verändert und Schönheitsmakel wegretuschiert. Durch kostenlose Bildbearbeitungsprogramme ist dies jetzt auch in den sozialen Medien üblich. In meinen Augen wird jeder Mensch durch eine Schönheits-OP selbst zum „Fake“.
Oberflächlichkeit. Das ist ein Thema, was mich in dem Zusammenhang immer beschäftigt hat. Ich habe Menschen getroffen, die durch mich hindurch oder an mir vorbei geguckt haben, während sie sich mit meiner besten Freundin unterhalten haben – als wenn ich nicht dazu gehörte! Hallo! Das war so offensichtlich oberflächlich! Das fand ich so furchtbar! Nicht, weil ich von diesem Typen, ein Arbeitskollege meiner Freundin, wahrgenommen werden wollte, was man ja denken könnte. Nein, dieses Verhalten hat ihn bei mir sofort unattraktiv gemacht! Da konnte der sich noch so modisch kleiden, „eindieseln“ oder frisieren! Dieses Verhalten fand ich so abstoßend, so dass ich einen Blick entwickelt habe für Menschen, die oberflächlich sind. Das ist der größte Gewinn für mich, den ich meiner schönen großen Nase zu verdanken habe! Ich kann schnell erkennen, ob es jemand ehrlich meint oder ob er nur oberflächliches Zeug labert. Entschuldigung – das hört sich vielleicht auch oberflächlich an. Natürlich soll man Menschen nicht auf den ersten Blick beurteilen oder verurteilen. Das, was nicht für mich gelten soll, soll auch nicht für andere gelten. Ich bin immer für eine zweite Chance zu haben, aber meine Erfahrung hat vieles bestätigt. Der erste Blick entscheidet über Sympathie oder Antipathie. Das war schon immer so und hilft uns, die richtigen Menschen um uns zu haben. Wir müssen nicht mit allen Menschen auskommen und befreundet sein! Und wen wundert es, dass ich den damaligen Kollegen meiner besten Freundin unsympathisch fand, wenn der mich nicht wahrgenommen hat! Meine Freundin hat diese Diskriminierung übrigens nicht mal bemerkt.
Leider funktioniert Optik immer noch in allen Bereichen der Gesellschaft. Bei einer attraktiven Frau hört und sieht man auch gerne mal über einen kleinen Fehler hinweg; das ist der sogenannte Halo-Effekt, der alles überstrahlt. Was die große Nase angeht, ist es wohl immer noch so, dass man in den visuellen Medien nur Karriere machen kann, wenn man männlich und/oder komisch ist. Und diese Männer werden auch noch explizit mit ihrer Nase identifiziert! Frauen mit einer großen Nase im Fernsehen sind somit ein „noGo“! Als einzige Ausnahme fällt mir tatsächlich nur Barbara Streisand ein, die eine unglaubliche Karriere mit einer einzigartigen Stimme gemacht hat.
Dabei ist die Debatte über Diskriminierung und Rassismus wieder neu entflammt in Deutschland. Obwohl ich mich heute optisch wohl fühle, spüre ich auch immer noch Formen von Diskriminierung, z.B. weil ich eine Frau bin. Vielleicht bin ich auch zu freundlich und bescheiden in meinem Auftreten, was dazu führt, dass mir nichts zugetraut wird. Optik (Aussehen und Klamotten) und Auftreten sind also immer noch wichtig.
Zum Glück gibt es jetzt musikalische Formate wie „The Voice“, wo man nur durch seine Stimme ins Team kommt. Also der erste Eindruck nur auf die Stimme reduziert wird. Und Arbeitgeber verzichten bei Bewerbungsschreiben auf Fotos. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Der zweite Eindruck muss dann aber überzeugen.
Trotzdem gibt es einen neuen Hype, eine neue Generation, die sich optisch an Supermodels und Fake-Fotos orientiert. Wenn man die Mitte seines Lebens überschritten hat, wundert man sich nur, dass junge Frauen sich selbst nur über die Optik definieren und damit alle Errungenschaften der Frauenbewegung mit Füßen treten. Das finde ich echt problematisch. Aber sie wollen natürlich nicht als „Dummchen, die nur hübsch ist“ wahrgenommen werden, sondern als hübsche, selbstbewußte und kluge Frau. So sehen sie sich selbst. Das Problem ist nur, dass es meistens nicht so ankommt. Die klugen Frauen in unserer Gesellschaft tragen meist Hosenanzug und kein tief ausgeschnittenes Dekolleté.
Letztendlich muss jeder selbst entscheiden, wie er aussehen will und ob er „was machen lassen“ will. Aber ich denke, es verändert das Bild unserer Gesellschaft noch einmal zusätzlich, wenn mehr Menschen als früher äußerlich vermeintlich „hübscher“ sind. Nicht zu vergessen, dass die Schere zwischen Arm und Reich auch darüber entscheidet, ob man sich so etwas überhaupt leisten kann. Und damit verändert sich auch der Blick auf die, die es sich nicht leisten können. Der Blick wird noch abfälliger als er eh schon ist durch den bloßen Gedanken: „wie sieht der/die denn aus?“ Guckt Euch die USA an. Mir ist aufgefallen, dass alle Politikerinnen und Politiker aufwendige Föhnfrisuren haben! Die müssen ja vor jedem öffentlichen Auftritt neu geföhnt werden! Eine schreckliche Vorstellung, aber offensichtlich in den USA völlig normal. Aus den visuellen Medien kennt man das ja auch bei uns. Vor jedem Fernsehauftritt geht’s erstmal in die „Maske“. Das ist durchaus legitim, da helles und warmes Studiolicht und die hohe Auflösung der Bilder doch gnadenlos sein können. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Gesundheitsminister Jens Spahn seine Locken jedes Mal trimmen lässt, bevor er vor die Kamera tritt – so sieht es jedenfalls nicht aus.
Ich weiß nicht, wo ich heute stehen würde, wenn ich meine Nase operiert hätte oder wenn ich trotz aller Widerstände eine Musikerkarriere angestrebt hätte. Eine zweite Streisand? Fakt ist jedenfalls, dass ich mich immer noch im Spiegel anschauen kann und meine Persönlichkeit sich immer mehr in meinem Äußeren manifestiert. Es gab Zeiten als Teenager, da konnte ich mein Spiegelbild nicht ertragen. Typisch für die Pubertät, daher mache ich mir deswegen keine Sorgen. Ich hatte soviel „Starappeal“ in mir gefühlt und bin von meinem Spiegelbild sozusagen ernüchtert worden. Das hat mich vielleicht ausgebremst und ich war deswegen so zurückhaltend. Andererseits hat mal ein Onkel, der mich nur einmal im Jahr gesehen hat, zu mir gesagt: „Du wirst von Jahr zu Jahr hübscher!“ und genauso habe ich es auch empfunden je älter ich wurde. Ich habe mich nicht nur mit meinem Spiegelbild arrangiert, sondern mein Inneres nach Außen gekehrt. Ich strahle mehr, erkenne mich selbst wieder und lächle mich im Spiegel an. Und ich spreche hier von „Spiegel“, weil ich nicht zu den Menschen gehöre, die den ganzen Tag Selfies von sich machen. Vielleicht erhöht dies auch den Druck, wenn man sich ständig selbst anschaut. Da ich mich nur ein paarmal am Tag im Spiegel betrachte, bin ich manchmal über mein Spiegelbild so positiv überrascht, dass ich es schon schade finde, wenn mich außer mir selbst zu der Zeit niemand sehen kann. Im Laufe der Jahre hat sich auch sicher etwas „zurechtgewachsen“. Ich weiß nicht, ob es wirklich anatomisch so ist, aber ich empfinde meine Nase und meine Ohren nicht mehr als „zu“ groß – sie passen zu meinem großen Kopf! Meine Ex-Freunde waren übrigens völlig überrascht, wenn ich meine Nase als zu groß bezeichnet habe und deswegen Komplexe hatte. Sie haben es gar nicht so empfunden und fanden mich trotzdem hübsch. Das war eine wichtige Erfahrung. Vielleicht war es auch hilfreich, dass mein erster Freund ein großer Steffi Graf-Fan war und ich eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr hatte!
Ich schreibe das hier, weil ich allen Menschen Mut machen möchte, zu ihrem Äußeren zu stehen und sich nicht von falschen Schönheitsidealen irritieren zu lassen. Über Geschmack läßt sich bekanntlich streiten, über die wahre Schönheit und das Können eines Menschen sagt das aber gar nichts aus. Meines Erachtens sehen viele junge Mädchen „gleich“ aus und sind in einer Menschenmenge gar nicht als Individuum zu erkennen. Ich glaube nicht, dass das gewollt ist, in der Masse zu verschwinden. Ich finde es jedenfalls langweilig, wenn alle gleich aussehen und freue mich über jedes außergewöhnliche Gesicht.
Der extrovertierten Mitschülerin, die eine Solorolle im Schulchor bekam, ist übrigens glatt während der Aufführung die Stimme weggeblieben. Es hat ihr anscheinend keiner die richtige Technik erklärt und sie hat ihren Solopart so lange selbstverliebt „geschrien“ bis sie keine Stimme mehr hatte. Hochmut kommt eben vor dem Fall! Das gilt übrigens auch für den Lehrer, der dieses angebliche „Talent“ gefördert hat. Aber das ist eine andere Geschichte…